Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat das Verbot, Sterbewilligen die Selbsttötung zu ermöglichen, für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz vom Dezember 2015 gegen die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ist damit nichtig und kann nicht mehr angewendet werden. Harsche Kritik kam von den Kirchen.
Verweis auf „selbstbestimmtes Leben“
„Die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist uns nicht leichtgefallen“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle heute vor der Urteilsbegründung. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen.
Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sei auch nicht „auf schwere und unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlichen Lebens“, sagte Voßkuhle in Karlsruhe. Das Strafgesetz entleere aber dieses Recht. Es mache dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten. Das sei nicht angemessen.
Antrag auch beim VfGH
Auch in Österreich liegt dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) seit Mai 2019 ein Antrag vor, mit dem die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) versucht, das strikte Verbot der Sterbehilfe zu kippen. Die soeben in der Frühjahrssession tagenden Verfassungsrichter werden sich frühestens in ihrer nächsten Session im Juni damit beschäftigen, hieß es heute.
Gesetzgeber kann Recht einschränken
Andererseits geben die acht Verfassungsrichterinnen und -richter dem Gesetzgeber aber Spielraum. Diesem sei nicht untersagt, Suizidhilfe zu regulieren. Der Staat habe auch dafür Sorge zu tragen, dass die Autonomie des Einzelnen geschützt und nicht durch Dritte gefährdet wird. Der Gesetzgeber dürfe deshalb Entwicklungen entgegensteuern, die den sozialen Druck fördern, sich etwa unter Nützlichkeitserwägungen das Leben zu nehmen.
Auch die Einschätzung des Gesetzgebers, dass sich die assistierte Selbsttötung zu einer normalen Form der Lebensbeendigung insbesondere für alte und kranke Menschen etablieren könne, sei nachvollziehbar. Hierzu dürfe der Gesetzgeber Aufklärungs- und Wartepflichten festlegen. Er könne auch die Suizidhilfe unter Erlaubnisvorbehalt stellen, um die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten zu sichern. Das könne „bis zu Verboten besonders gefahrenträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe“ reichen.
Aber dem Einzelnen müsse genügend Raum bleiben, sein Leben selbstbestimmt zu beenden. „Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren“, sagte Vosskuhle. Das Urteil umfasst 151 Seiten.
Scharfe Kritik von Kirchen
Die beiden großen Kirchen in Deutschland kritisierten das Urteil scharf. Es stelle „einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“, erklärten die katholische Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
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